Mehrdeutiger Titel? Mehrdeutiges Land.
Nein, ich bin weder Cora noch BJ, darf aber trotzdem hier
meinen Senf dazugeben. Ihr fragt euch, warum? Weil ich es kann. Das ist auch
die Denkweise der Chinesen, denn anders lassen sich die Nachbildung der
Londoner Tower Bridge mitten in Suzhou, lebende Skorpione auf Stäbchen
gespießt, Glasböden in 270m Höhe und noch vieles mehr einfach nicht erklären. Daher
haben Nadine und ich nach einer Weile BJs Dauerantwort („in China fragt man
nicht, warum.“) angenommen und uns damit begnügt, uns still zu wundern.
Zwei Anmerkungen vorab: 1. Ich könnte jeden Satz unseres
Reiseberichts mit „auf der einen Seite“ beginnen, will euch aber damit verschonen
und es dabei belassen, dass China das Land der Gegensätze ist. 2. Beim
Durchlesen der bisherigen Erfahrungsberichte im BetzChina-Blog könnte der
geneigte Leser hin und wieder auf den Gedanken kommen, manche Themen seien von
den Autoren humoristisch überspitzt dargestellt worden. Uns ging es selbst so.
Dann kam China.
Beginnen möchte ich bei der Idee, die sich an Silvester im
Jacuzzi des Steinhilbener Exils entwickelt hat, als Cora und BJ meine Verlobte
Nadine und mich fragten, ob wir nicht nach China kommen wollen. Nüchtern
betrachtet, also ein paar Tage später, klang es immer noch gut und der Plan nahm
Form an. Dementsprechend wurden Flüge und Hostels gebucht, Visa beantragt,
Einladungsschreiben verschickt, Lonely Planet bestellt und Pläne geschmiedet.
Dann war es endlich soweit: nach über 8.000km, 22 Stunden
Reisezeit und viel zu wenig Schlaf kamen wir in Peking an. Hier begann, was uns
drei Wochen lang begleitete: eine Erkenntnis jagte die andere. Zu viele, um
alle aufzuzählen, ich versuche dennoch, ein paar zu beschreiben. Erste
Erkenntnis, als wir mit einer U-Bahn innerhalb des Flughafens vom Ankunftsterminal
zur Gepäckausgabe fuhren: scheint groß zu sein, dieses China. Bekräftigt wurde
dieses Gefühl von unserem Fahrer, der uns ins Hostel bringen sollte. Er fand
sein Auto nicht mehr. Kann in einem Parkhaus mit 7000 Stellplätzen schon mal
passieren. Später sollten wir erfahren, dass dies beileibe kein Einzelfall
darstellt – gell, C J
Eine weitere Erkenntnis folgte, als das Auto schließlich
gefunden wurde und wir auf den Straßen unterwegs waren. Rush-Hour montags in
der Früh. Zwei Stunden bis zum Hostel. Zwei Stunden Adrenalin pur. Ich verstehe
nun auch BJ, der den Spruch prägte: „ich habe auf dem Weg zur Arbeit gar nicht
genug Mittelfinger um meine Meinung auszudrücken“. Übrigens, BJ, bin ich immer noch beeindruckt, wie du es
schaffst, mit einer Hand zu hupen und gleichzeitig mit der anderen den weiteren
Verkehrsteilnehmern deinen längsten Finger zu zeigen. Wobei gerade das Hupen ja
nichts Negatives ist. Heißt ja nur: „ich bin auch da“. Dementsprechend ist auch
der Geräuschpegel. Zusätzlich zum Chaosprinzip des Spurwechselns, der schieren
Menge an Bussen, Taxen, LKWs, Scooter gibt es auch für Fußgänger scheinbar keine
festen Regeln, wie die Straße zu überqueren ist. Daher bleibt festzuhalten: Der
Straßenverkehr ist ein Erlebnis. Eines von der Abenteuersorte.
Tag 1-4. Peking. Für uns wurde China in den ersten Tagen zum
Land der tausend Stufen. Egal, ob Lama-Tempel, Konfuzius-Tempel, Beihai-Park, Verbotene
Stadt oder Chinesische Mauer – die Muskulatur wurde dauertrainiert. Die Mühe
war es allemal wert, alle Sehenswürdigkeiten haben uns schlichtweg umgehauen. Um
hier jedoch eine weitere Erkenntnis einfließen zu lassen und uns damit als
Kunstbanausen zu outen: nach dem zwanzigsten Tempel erkennt man eine gewisse
Redundanz.
Aber auch abseits der großen Touriattraktionen, waren es gerade die
kleinen Geschichten am Rande, die den Trip unvergesslich werden ließen.
Beispiel? Man nehme zwei Deutsche, die zwar Englisch, aber kein Chinesisch
reden. Man füge Chinesen in fünf China Mobile Shops hinzu, die zwar Chinesisch,
aber kein Englisch sprechen. Man ziert es mit einer chinesischen SIM-Card, die
lediglich wieder mit ein wenig Geld geladen werden muss. Zwei Optionen: entweder
ihr spielt Montagsmaler mit den Einheimischen (nur 4-5 Stunden lustig), oder
ihr lasst euch im Hostel einen Satz in Landessprache übersetzen, geht in einen
China Mobile Shop und kommt zwei Minuten später mit erreichtem Ziel wieder heraus.
Das Gefühl, diese Mission der Schwierigkeitsstufe 10.000 gemeistert zu haben:
unbezahlbar. Oder die Begegnung mit BJ, der uns am ersten Abend in unserem
Hostel besuchte, da er gerade geschäftlich „in der Nähe“ unterwegs war. Absurd
witzige Situation, wenn einem 9.000km von zuhause plötzlich einer deiner besten
Kumpels entgegenkommt. Nach vier Tagen, in denen wir viele Menschen
kennengelernt haben, Karaoke sangen, Essensmärkte besuchten, von vielem
beeindruckt waren und über noch viel mehr schmunzeln mussten, war es Zeit, eine Stadt zu verlassen, die für
das „alte und traditionelle China“ steht.
Tag 5 – 14. Suzhou. (+Tagesausflug Nanxun, 3 Tage Hangzhou) Mit
dem Nachtzug ging es in einem 2x2m großen Schlafabteil, das wir mit zwei
weiteren Personen und vollem Gepäck in bester Tetris-Manier komplett
ausfüllten, ins 1300km entfernte Suzhou. Und fanden uns in einer anderen Welt
wieder. Gut, einiges blieb gleich (der absurde Verkehr, Chinesen, die in
Schlafanzügen durch Straßen laufen, etc), dennoch gab es signifikante
Unterschiede. Um die zwei größten zu nennen: Suzhou ist irgendwie wie Cher (ja,
die Sängerin) – ein ganz kleiner Teil ist uralt, das Meiste jedoch relativ neu
(noch unter 25). Man kommt sich oft vor, als befände man sich in einem künstlich
angelegten Freizeitpark. Einem sehr, sehr großen Freizeitpark. Hinzu kommt,
dass Cora und BJ in einem abgegrenzten Areal wohnen, der doch ziemlich stark an
ein Ferienressort erinnert. Wobei wir damit zum zweiten großen Unterschied
kommen: Cora und BJ waren da. Die Wiedersehensfreude war riesig und was soll
ich sagen, sie kümmerten sich vorbildlich um uns und sorgten dafür, dass die
Zeit in Suzhou zum Erholungsurlaub wurde. Im Gegensatz zu Peking und Shanghai
gingen Nadine und ich also für diesen Zeitraum in den Lemming-Modus und
genossen es sehr, uns von den Beiden alles zeigen zu lassen. Kaum angekommen -
und besonders die Schwaben unter euch sollten jetzt besonders konzentriert
lesen - ging es zur wichtigsten Mission des Urlaubs. Dafür muss ich allerdings
kurz ausholen. Ich habe das große Glück, im Juli 2016 meine Traumfrau heiraten
zu dürfen. Dafür braucht man bekanntlich Kleid und Anzug. Nun ist Suzhou der
Weltproduzent für Hochzeitskleider, ein Maßanzug wird ebenfalls problemlos auf
den Leib geschneidert. Daher mein Tipp an alle, die in den nächsten Jahren
ebenfalls vorhaben, zu heiraten: kauft die Sachen in China und verbindet es mit
einem 3-Wochen-Urlaub dort, anstatt in Deutschland einzukaufen. Ihr kommt bei
gleicher Qualität auf denselben Preis. Zum Aufwand der Suche möchte ich nur
sagen: wir haben das Klischee von Mann und Frau aber sowas von bestätigt. Das
Ergebnis war perfekt, alle waren glücklich. Das musste gefeiert werden. Zwei
Tage lang. An den Namen der Bar des ersten Abends kann ich mich
unerklärlicherweise nicht mehr erinnern, aber das legendäre Würfelspiel wird
mir ewig in Erinnerung bleiben. Der Name der Studentenkneipe am zweiten Abend war
einfacher zu merken, zumal Mr.T einen auffordert: “get wasted at the drunken
Clam“. Und Mr. T widerspricht man nicht.
Nach einem Tag zur Regeneration ging
es folgend daran, Suzhou zu erkunden und auch hier kamen wir voll auf unsere
Kosten: Perlenmarkt, Altstadt und der schiefe Turm von Tiger Hill sind ebenso
spannend, wie die erwähnte Nachbildung der Tower Bridge und eines kompletten
Dänischen Dorfes(!) verrückt. Zwischendurch ging es über einen von Coras
Expatverein organisierten Ausflug, noch einen Tag raus aus der Stadt, in die Watertown
nach Nanxun. Hier half uns die Reiseleiterin, die tatsächlich die ganze Zeit
über redete – ohne heiser zu werden – die
Geschichte Chinas besser zu verstehen. Auch der Aufenthalt in Suzhou, in
der uns außer dem bereits genannten auch das vielfältige vorzügliche Essen,
sowie die dortigen Freunde von BJ und Cora (spezieller Gruß an Oli) in
Erinnerung bleiben werden, hatte ein Ende. Doch bevor wir den Zug nach Shanghai
nahmen, packten wir uns zu viert nochmal ins Auto und fuhren für drei Tage nach
Hangzhou und tranken Tee.
Tag 15 – 18. Shanghai. Wählen Sie aus allen Punkten drei
Dinge, die Sie in Shanghai gesehen haben sollten. Nanjing Road. French
Concession. Und vor allem: the Bund. Ein großes Lob an meine Verlobte für die
Buchung, sowie eine weitere Empfehlung an alle, die diese Stadt besuchen. Das
MingTown-Youth Hostel liegt zentral und dennoch relativ ruhig. So war es nur
eine Querstraße bis zur Nanjing-Road, eine der größten Einkaufsstraßen der
Welt. Sagt Wikipedia. Bereits routiniert erfüllten wir das, was uns die
komplette Zeit in China täglich 3-5 mal offen passierte und unzählige Male mehr
oder weniger heimlich versucht wurde: Chinesen wollten Fotos von uns machen.
Ich habe immer noch keine Ahnung warum, aber wie bereits erwähnt, ist diese
Frage in China sinnfrei. Auch hier folgten wir derselben Taktik, wie in den
anderen Städten und machten uns zu Fuß auf, die Stadt zu erkunden. So gelangten
wir noch von dem Eindruck der mit Luxusartikeln übersäten Nanjing Road in eine
Gegend, welche Nadine später als das schönste Viertel Chinas bezeichnen sollte.
Die French Concession. Wir hatten gelesen, dass es hier etwas geben soll, das
Tian Zi Fang heißt, wussten aber nicht genau, was uns dort erwartet. Laut Karte
standen wir direkt davor, konnten aber keinen Eingang entdecken. Also fragten wir jemanden. Die Antwort
kam lächelnd: “Straight ahead to the next corner, then turn left, go through a
small door and then you will get lost.” Er hatte Recht. Kaum waren wir
durch diesen kleine Tür durch, sahen wir uns einer Vielzahl an winzigen Gassen
gegenüber, vollgestopft mit kleinen Läden, die man teilweise durchqueren muss,
um wiederum in andere Gassen zu gelangen. Wer meine Verlobte kennt: es war der
Himmel für Sie. Und sogar ich selbst muss sagen, dass man sich dort ohne
Probleme einen Tag lang aufhalten kann und sich sehr wohl fühlt. Naja,
irgendwann haben wir dann doch wieder aus dem Labyrinth herausgefunden. Meine
persönlichen Highlights in Shanghai betrafen den Bund. Zunächst bei Nacht am
Seeufer betrachtet - meiner Meinung nach eine der schönsten Skylines der Welt –
ging es am nächsten Tag daran, den Bund aus der Nähe zu sehen. Hat man keine
Höhenangst, sollte man unbedingt den Glasboden des Pearl Towers betreten.
Man
wird mit einer überragenden Aussicht belohnt und noch krasser: einem
Wahnsinnsgefühl, wenn die Augen dem Gehirn melden, man stehe 270m hoch in der
Luft. Sollte man am Boden bleiben wollen, wird einem am folgenden Tag
vermutlich der Nacken wehtun, da man sich von Hochhäusern umgeben sieht – unter
anderem dem zweithöchsten Gebäude der Welt. Nach der Ankunft im traditionellen,
größtenteils alten und noch am ehesten kommunistisch zu nennende Peking,
beendeten wir unseren Trip also in der Stadt, die in unseren Augen das genaue
Gegenteil widerspiegelt und machten wir uns nach knapp drei Wochen auf, wieder
nach Deutschland zurückzukehren, mit der bestätigten Meinung, die wir auch
heute noch vertreten: um China in Ansätzen verstehen zu wollen, muss man es
gesehen haben. Und versprochen - es lohnt sich.
Nachwort: Ich erhebe mit meiner Erzählung nicht mal
annähernd den Anspruch auf Vollständigkeit, viele spannende Erfahrungen wurden
nur mit einem Wort erwähnt, noch viel mehr wurde aus Platzgründen komplett
weggelassen – nur die Wenigsten haben Bock, einen Bericht über 20 Seiten zu
lesen. Solltet ihr zu den angesprochenen Wenigsten gehören, oder interessiert
euch eine Geschichte im Speziellen, quatscht uns einfach an.
Last but not least ein paar Worte an euch, Cora und Bj: Ohne
euch wäre der Trip nicht mal in der Idee entstanden und wir hatten einen
Riesenspaß mit und durch euch. Ihr seid Ratgeber, Flügebucher,
Einladungsschreibende, SIM und U-Bahn-Karten-Verleiher, Gastgeber, Aufpäppler,
Shopping-Begleiter, Touriguides und noch vieles mehr… aber vor allem seid ihr
zwei unfassbar tolle Freunde für uns. DANKE SCHÖN für alles!!!